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Mehr Content, weniger (Lern-)erfolg?

Das Problem mit zu viel Inhalt

Denke an das letzte Mal, als du an einer langen Vorlesung teilgenommen oder durch einen Online-Kurs mit endlosen Folien gescrollt hast.

Hast du viel behalten? Wahrscheinlich nicht.

Dieses Phänomen ist nicht nur eine individuelle Erfahrung – und sogar wissenschaftlich gut dokumentiert. Die (engl.) Cognitive Load Theory (Sweller, 1988) erklärt, dass unser Arbeitsgedächtnis nur eine begrenzte Menge an Informationen gleichzeitig verarbeiten kann. Eine Überfrachtung des Arbeitsgedächtnisses erschwert es Lernenden, neue Informationen zu behalten und effektiv anzuwenden (Sweller, 1988; van Merriënboer & Sweller, 2005).

Zu viele Inhalte (engl.) Content erschweren es Lernenden, das Gelernte zu behalten und in die Praxis umzusetzen. Aktive Lernmethoden könnten unterstützen, doch deren Umsetzung scheitert oft an großen Kursgrößen, fehlender Ausbildung der Lehrenden oder knappen Ressourcen (van Merriënboer & Sweller, 2005).

Weniger, aber klarer und praxisnäherer Inhalt kann entscheidend sein. Lernmethoden sollten Wissen so vermitteln, dass es auf das Wesentliche fokussiert und in realen Situationen anwendbar ist.

Die echte Fähigkeitenlücke

Reine Faktenkenntnisse reichen in einer zunehmend komplexen Welt nicht mehr aus. Übertragbare Fähigkeiten wie kritisches Denken, Zusammenarbeit und Anpassungsfähigkeit sind essenziell, um moderne Herausforderungen zu bewältigen (Pellegrino & Hilton, 2012).

Berichte wie Education for Life and Work unterstreichen, dass diese Fähigkeiten nicht nur für die persönliche Entwicklung, sondern auch für den beruflichen Erfolg in einer dynamischen Arbeitswelt zentral sind. Reale Kontexte und sinnvolle Verbindungen machen Inhalte verständlicher und fördern effektiveres Lernen, da sie bestehendes Wissen aktivieren, das Arbeitsgedächtnis entlasten und dadurch tiefes Lernen ermöglichen (Paas et al., 2010).

Die Integration übertragbarer Fähigkeiten in inhaltsreiche Curricula, etwa in Medizin oder Ingenieurwissenschaften, erfordert ein ausgewogenes Verhältnis zwischen fundiertem Wissen und praxisnahen Anwendungen, um wirkungsvolle Lernformate zu entwickeln.

Von Wissen zu Praxis: Strategien für effektives Lernen

Effektive Lernformate erfordern ein Gleichgewicht zwischen Wissen und Engagement.

Hier sind wissenschaftlich belegte Strategien, die diesen Ansatz unterstützen:

1. Aktives Lernen fördern

Aktive Lernmethoden wie strukturierte Problemlösungen oder kollaborative Projekte steigern nachweislich Engagement und Behaltensleistung (Prince, 2004; Freeman et al., 2014). Diese Ansätze unterstützen Lernende, Inhalte besser zu verstehen und praktisch anzuwenden. Studien zeigen jedoch, dass ihre Wirksamkeit stark von klarer Anleitung abhängt, um Überforderung zu vermeiden (Chi & Wylie, 2014).

  • Beispiel: In Gruppen entwickeln Lernende praxisnahe Lösungen für reale Herausforderungen. Durch gezieltes Feedback der Lehrenden können sie ihre Ansätze verbessern und direkt anwenden.

2. Konzentration auf Kernkonzepte

Die Konzentration auf zentrale Konzepte erhöht die Gedächtnisleistung und minimiert überflüssige kognitive Beanspruchung (Sweller, 1988). Essentielles Wissen sollte mit praktischer Anwendung verknüpft werden, um das Lernen nachhaltig zu fördern. Studien zeigen, dass realistische, bedeutungsvolle Inhalte das Arbeitsgedächtnis entlasten und mehr Kapazität für tiefes Lernen schaffen (Paas & van Merriënboer, 1994).

  • Beispiel: Lernende trainieren praxisnah die zentralen Schritte eines Arbeitsprozesses, statt sich mit selten genutzten Details aufzuhalten.

3. Verknüpfung von Theorie und Praxis

Die Verknüpfung theoretischer Inhalte mit dem Aufbau praktischer Fähigkeiten bereitet Lernende gezielt auf reale Anforderungen vor. Studien zeigen, dass die Kombination von Grundlagenwissen und Problemlösungskompetenzen tiefergehendes Lernen und die Übertragbarkeit von Wissen fördert (Hattie, 2008).

  • Beispiel: In Projekten wenden Lernende theoretische Prinzipien an, um praktische Lösungen für konkrete Herausforderungen zu entwickeln.

4. Bewertungen neu denken

Beurteilungen sollten ein Gleichgewicht zwischen formativen (kontinuierliche Rückmeldung) und summativen (abschließende Leistungsbeurteilung) Methoden schaffen, um sowohl Wissen als auch dessen Anwendung zu messen. Authentische Bewertungsformen – wie Fallstudien oder szenariobasierte Evaluierungen – liefern wertvolle Einblicke in die Fähigkeiten der Lernenden. Eine durchdachte Gestaltung ist jedoch notwendig, um ressourcenintensive oder unpraktische Umsetzungen zu vermeiden (Wiggins & McTighe, 2005).

  • Beispiel: Lernende entwickeln im Rahmen eines Projekts Lösungen für ein praktisches Problem. Mithilfe von Peer-Reviews erhalten sie Feedback zu ihren Entwürfen, bevor sie ihre finalen Ergebnisse in einer abschließenden Präsentation vor einer Fachjury oder ihren Lehrenden vorstellen.

Praxisbeispiel: Spaghettibrücken-Test

Der Spaghetti-Brückentest hat sich als faszinierendes Lehrinstrument in der Ingenieurausbildung etabliert. Bei dieser praktischen Übung konstruieren Studierende Brücken ausschließlich aus Spaghetti und Klebstoff – eine Aufgabe, die auf den ersten Blick simpel erscheint, jedoch komplexe ingenieurwissenschaftliche Prinzipien vereint.

Die Herausforderung besteht darin, eine möglichst belastbare Brückenkonstruktion zu entwickeln, die ein vorgegebenes Gewicht tragen kann. Dabei müssen die Studierenden ihr theoretisches Wissen aus verschiedenen Bereichen integrieren: von der Statik über die Materialwissenschaft bis hin zur Konstruktionslehre. Sie analysieren Kräfteverteilungen, berechnen Lasteinwirkungen und optimieren ihre Konstruktion durch verschiedene Verstrebungstechniken.

Besonders wertvoll ist die unmittelbare Rückmeldung: Wenn die Brücke unter Last versagt, werden theoretische Konzepte wie Druckspannung, Zugspannung und Knickverhalten direkt erfahrbar. Die Studierenden können beobachten, an welchen Stellen ihre Konstruktion nachgibt und ihre Berechnungen mit der Realität abgleichen. Dieser iterative Prozess aus Konstruktion, Test und Analyse fördert nicht nur das tiefere Verständnis ingenieurtechnischer Prinzipien, sondern auch die praktische Problemlösungskompetenz. Die Forschung zeigt, dass solche handlungsorientierten Lernansätze die Behaltensleistung signifikant steigern (Prince, 2004).

Fazit

Inhalte sind wichtig – aber sie sind nicht alles. Effektives Lernen entsteht, wenn Lehrende essentielles Wissen mit Engagement, Fähigkeitsaufbau und praktischer Anwendung kombinieren.

Das Beispiel zeigt, dass dieses Gleichgewicht sogar in inhaltsintensiven Bereichen möglich ist, doch sein Erfolg hängt von durchdachter Konzeption und Ressourcen ab.

Einfach bei der Gestaltung der nächsten Lehrveranstaltung fragen: Vermittele ich hier Inhalte – oder fördere ich besseres Lernen?

Möchtest du lernen, wie du wirkungsfolle Lernformate gestaltest?

Im Lehr-Lern-Labor erproben wir genau das gemeinsam.

Referenzen

Chi, M. T. H., & Wylie, R. (2014). The ICAP Framework: Linking cognitive engagement to active learning outcomes. Educational Psychologist, 49(4), 215-232.
Freeman, S., et al. (2014). Active learning increases student performance in science, engineering, and mathematics. Proceedings of the National Academy of Sciences, 111(23), 8410-8415.
Hattie, J. (2008). Visible Learning: A synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement. Routledge.
Paas, F., Renkl, A., & Sweller, J. (2003). Cognitive Load Theory and Instructional Design: Recent Developments. Educational Psychologist, 38(1), 1–4.
Paas, F., & van Merriënboer, J. J. G. (1994). Instructional Control of Cognitive Load in the Training of Complex Cognitive Tasks. Educational Psychology Review, 6(4), 351-371.
Pellegrino, J. W., & Hilton, M. L. (2012). Education for Life and Work: Developing transferable knowledge and skills in the 21st century. The National Academies Press.
Prince, M. (2004). Does active learning work? A review of the research. Journal of Engineering Education, 93(3), 223-231.
Sweller, J. (1988). Cognitive load during problem solving: Effects on learning. Cognitive Science, 12(2), 257-285.
van Merriënboer, J. J. G., & Sweller, J. (2005). Cognitive load theory and complex learning: Recent developments and future directions. Educational Psychology Review, 17(2), 147-177.
Wiggins, G., & McTighe, J. (2005). Understanding by Design. ASCD.

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