Detailed view of a cracked and weathered pink concrete wall with peeling paint. Systemwandel erst unter Druck

Systemwandel: Warum Veränderung erst unter Druck möglich wird

Systeme verändern sich nicht freiwillig.

Angesichts von Klimawandel, sozialer Ungleichheit und wirtschaftlicher Instabilität nehmen die Forderungen nach strukturellen Veränderungen durch Wissenschaft, Zivilgesellschaft und politische Akteure zunehmend zu.

Doch Systeme neigen dazu an bestehenden Strukturen festzuhalten – oft so lange, bis Krisen oder externe Zwänge Veränderungen unausweichlich machen. Wie bei einem Gebäude, dessen Fundament langsam bröckelt, werden Probleme zunächst ignoriert oder nur oberflächlich repariert, bis der Druck zu groß wird und eine umfassende Sanierung unausweichlich ist.

Wann ist der richtige Zeitpunkt für Wandel?
Müssen wir erst an Grenzen stoßen, bevor wir handeln?
Und riskieren wir durch unser Zögern, irreversible Schäden für Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt?

Dies klären wir in diesem Blog.

Warum Systeme Wandel blockieren – bis sie nicht mehr können

Soziale Systeme – sei es Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft – funktionieren nach eigenen Regeln und haben einen starken Selbsterhaltungstrieb.

Niklas Luhmann beschreibt sie als „autopoietisch“, das heißt: Sie erneuern und stabilisieren sich durch ihre eigene Kommunikation – unabhängig von äußeren Einflüssen (Luhmann, 2013). Diese Stabilität schützt vor plötzlichen Zusammenbrüchen, macht Anpassungen aber schwer.

Ein bestehendes System löst sich nicht einfach auf. Es verfügt über Mechanismen, die verhindern, dass externe Einflüsse es direkt verändern (Luhmann, 2013). Doch wenn diese Mechanismen nicht mehr ausreichen, um auf veränderte Umweltbedingungen zu reagieren, kann eine Krise entstehen.

Beispiel: Unser Wirtschaftssystem basiert auf ständig steigendem Wachstum. Doch in einer Welt mit begrenzten Ressourcen ist dieses Modell nicht nachhaltig (Schumpeter, 1994; Jackson, 2009). Statt sich anzupassen, hält das System am Wachstumszwang fest – und bringt sich so selbst in eine Sackgasse.

Systeme ändern sich erst, wenn der Druck zu groß wird

Nach Luhmann verändern sich Systeme nicht plötzlich oder durch äußeren Zwang, sondern erst dann, wenn ihre eigene Stabilität nicht mehr aufrechterhalten werden kann.

Die folgenden drei Mechanismen zeigen, warum Systeme oft erst dann Wandel zulassen, wenn sie nicht mehr anders können:

1. Irritation: Warum Krisen nicht sofort Wandel auslösen

Ein System kann durch äußere Ereignisse „irritiert“ werden – zum Beispiel durch die Wirtschafts- oder die Klimakrise. Doch verarbeitet das System diese „Reize“ gemäß seiner internen Strukturen und Regeln und reagiert nicht automatisch mit Veränderung (Luhmann, 2013).

Beispiel: Die Klimakrise zwingt Wirtschaft und Politik nicht unmittelbar zum Wandel. Erst wenn wirtschaftliche Anreize oder regulatorischer Druck entstehen, setzen Anpassungen ein – häufig jedoch eher marktbasierte Optimierungen als tiefgreifende Systemveränderungen (Wolf, 2013).

2. Selektion: Warum Systeme Wandel nur begrenzt zulassen

Nicht jede Krise führt zu grundlegender Veränderung. Systeme steuern selektiv, welche externen Reize sie aufnehmen und in ihre Strukturen integrieren (Luhmann, 2013).

Beispiel: Das Bildungssystem wurde durch die Digitalisierung herausgefordert. Doch statt sich grundlegend zu reformieren, wurden digitale Tools integriert, ohne die Struktur des Schulsystems zu hinterfragen (Bakeyeva, L. et. al., 2020).

3. Rekombination: Warum Systeme sich umgestalten statt neu zu starten

Falls ein System sich verändert, geschieht dies meist durch die Anpassung und Rekombination bestehender Strukturen – nicht durch einen radikalen Bruch (Luhmann, 2013).

Beispiel: Das Verkehrssystem verändert sich durch die E-Mobilität, doch seine Grundstruktur bleibt bestehen. Straßen, Parkplätze und Tankstellen werden nicht abgeschafft – lediglich der Antrieb der Fahrzeuge wechselt von Verbrennungsmotoren zu Elektro- oder Wasserstofftechnologie. Ähnlich verhält es sich mit der Energiewende: Anstatt das bestehende Netz komplett neu aufzubauen, werden fossile Kraftwerke schrittweise durch erneuerbare Energiequellen wie Wind- und Solarenergie ersetzt (Dolata, 2011).

Doch was passiert, wenn ein System trotz massiver Krisen an überholten Strukturen festhält?

Erzwungener Wandel: Wenn Altes weichen muss

1. Von fossilen Brennstoffen zur Energiewende

Jahrzehntelang beruhte unser Energiesystem auf Kohle, Öl, Gas und Atomkraft.

Diese Ressourcen sind entweder begrenzt oder mit hohen Risiken verbunden. Der Wandel hin zu erneuerbaren Energien erfordert nicht nur technologische Innovation, sondern auch eine Veränderung bestehender Strukturen. Nach (Luhmann, 2013) verändern sich Systeme jedoch nicht automatisch durch äußere Veränderungen, sondern erst dann, wenn ihre internen Mechanismen auf Irritationen aus der Umwelt reagieren und sich daraus neue Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen entwickeln.

Beispiel: Fossile Energien dominieren weiterhin den Markt, weil sie historisch subventioniert und in bestehende Wirtschaftssysteme eingebettet sind. Doch steigende CO₂-Preise, Klimapolitik und die zunehmende Wirtschaftlichkeit erneuerbarer Energien zwingen das System zum Wandel.

Moderne Gesellschaften reagieren erst auf existenzielle Bedrohungen, wenn die Risiken nicht mehr ignorierbar sind (Beck, 1986). Ein Beispiel dafür ist die Atomkraft: Sie galt lange als Brückentechnologie, doch nach Katastrophen wie Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011) wurde der öffentliche Druck zu groß, sodass politische Systeme gezwungen waren, umzusteuern.

Dieser Wandel zeigt: Alte Systeme verschwinden nicht freiwillig – erst wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Druck macht Veränderung unumgänglich.

2. Kryptowährungen und die Destabilisierung traditioneller Banken

Bankensysteme sind historisch darauf ausgelegt, zentralisiert zu arbeiten – Regulierungen, Zinsen und Finanzmarktstabilität hängen von klassischen Institutionen ab.

Doch mit der Einführung von dezentralen Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum geraten traditionelle Banken unter Druck, da diese die Notwendigkeit zentraler Finanzintermediäre in Frage stellen (Safarli & Safarli, 2024).

Beispiel: Während Regierungen und Banken versuchen, Kryptowährungen zu regulieren oder gar zu verbieten, wächst die Akzeptanz dieser Alternativen. Wenn Banken ihre Strukturen nicht anpassen, könnten sie langfristig ihre Rolle als Finanzintermediäre verlieren.

3. Die Transformation der Landwirtschaft

Die industrielle Landwirtschaft hat die Erträge maximiert – jedoch oft auf Kosten von Böden, Wasser und Biodiversität.

Der Übergang zu nachhaltigen Methoden wie der regenerativen Landwirtschaft erfordert einen strukturellen Wandel. In Anlehnung an Schumpeters Konzept der „schöpferischen Zerstörung“ bedeutet dieser Wandel, dass bestehende landwirtschaftliche Praktiken und wirtschaftliche Strukturen weichen müssen, um Platz für nachhaltigere Systeme zu schaffen (Schumpeter, 1994).

Beispiel: Während nachhaltige Methoden wie Permakultur oder Agroforstwirtschaft an Bedeutung gewinnen, dominieren weiterhin großflächige Monokulturen und intensive Tierhaltung. Erst wenn wirtschaftliche Anreize und politische Rahmenbedingungen sich ändern, kann ein echter Wandel stattfinden.

Systemwandel: Verpassen wir den Moment für Veränderung?

Systeme halten oft an bestehenden Strukturen fest, selbst wenn diese längst nicht mehr tragfähig sind.

Während einige durch rechtzeitige Anpassungen überleben, führt zu langes Hinauszögern notwendiger Veränderungen zu unkontrollierbaren Krisen oder dem vollständigen Kollaps (Luhmann, 2013; Diamond, 2005).

Das bedeutet: Veränderung passiert – ob bewusst gestaltet oder durch Krisen erzwungen. Systeme, die nicht rechtzeitig auf veränderte Bedingungen reagieren, destabilisieren sich selbst oder werden durch neue ersetzt. Die entscheidende Frage ist also nicht, ob sich Systeme verändern – sondern wie.

Luhmanns Theorie zeigt: Wandel ist unvermeidlich. Doch wir haben die Wahl: Bleiben wir passiv und riskieren einen unkontrollierten Kollaps – oder gestalten wir den Systemwandel aktiv?

Die Antworten liegen in unserer Hand.

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Referenzen

  • Bakeyeva, L. et. al. (2020). Structural and logical circuits in learning activities under conditions of education digitalization. Journal of Physics: Conference Series.
  • Beck, U. (1986). Risikogesellschaft: Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp.
  • Diamond, J. (2005). Collapse: How Societies Choose to Fail or Succeed. Viking Press.
  • Dolata, U. (2011). Radical change as gradual transformation : characteristics and variants of socio-technical transitions. SOI Discussion Paper 2011.03
  • Jackson, T. (2009). Prosperity without Growth: Economics for a Finite Planet. Earthscan.
  • Luhmann, N. (2013). Soziale Systeme: Grundriss einer allgemeinen Theorie. Akademie Verlag
  • Safarli, G. J., & Safarli, A. J. (2024). The impact of cryptocurrency adoption on traditional banking systems: A theoretical study. Elmi Əsərlər.
  • Schumpeter, J. A. (1994). Capitalism, Socialism and Democracy. Routledge.
  • Wolf, S. (2013). Economic rationality in climate governance. In: Climate Politics as Investment. Springer VS, Wiesbaden.

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